VERÖFFENTLICHT.
15.09.2024 Magazin
https://sz-magazin.sueddeutsche.de/familie/kinder-anluegen-wie-schlimm-ist-es-94285
Familie
DARF ICH MEINE KINDER ANLÜGEN?
»Die Katze lebt jetzt bei einer anderen Familie« oder »Der Piks tut überhaupt nicht weh«: Um Drama zu vermeiden, greifen Eltern oft zu Notlügen. Wie schlimm ist das? Und wie ginge es besser?
Am häufigsten lüge ich dienstags. Dienstage sind die Stoßzeiten in meinem Alltag mit drei Kindern zwischen einem und acht Jahren. An Dienstagen reiht sich bei uns Termin an Termin, nahtlos und gnadenlos. Es gibt keine Chance durchzuschnaufen, keinen Puffer für Trotzanfälle oder dafür, beim Radfahren mal kurz Quatsch zu machen, einen lustigen Umweg zu fahren oder minutenlang stehenzubleiben, um sich ausführlich an der Nase zu kratzen (Spezialität des Fünfjährigen). Dienstags haben wir es eilig. Und ich habe das Gefühl, da nur durchzukommen, indem ich meine Kinder anlüge. Ich lüge, damit sie schneller sind, damit sie auf mich hören, damit sie sich auf das konzentrieren, was ich für wichtig halte. Und danach tut mir das jedes Mal leid.
Allzu originell sind meine Lügen nicht. Da gibt es die beschwichtigende Lüge: »Komm, wir sind gleich da«, obwohl wir noch drei Kilometer vom Ziel entfernt sind. Die drohende Lüge: »Wenn du nicht gleich kommst, haben wir nachher keine Zeit mehr für ein Eis!«, auch wenn wir in Wirklichkeit genau jetzt keine Zeit mehr haben, nachher aber mehr als genug. Die Bitte-sei-ruhig-und-komm-jetzt-wirklich-Lüge: »Wenn du groß bist, kannst du dir jeden Tag drei Millionen Eiskugeln kaufen!« – die glaubt ja ohnehin niemand, aber vielleicht ist dann endlich mal Ruhe. Die Mikro-Lüge: »Nur eine Sekunde!«, die selbst der Achtjährige mit seiner Stoppuhr längst widerlegt hat. Die ignorante Lüge: »Jaja, klar hab ich dir zugehört!«, auch wenn ich in Gedanken schon drei Schritte weiter beim nächsten Termin war. Und so weiter.
»Fast immer wollen Eltern durch Lügen Konflikte mit ihren Kindern vermeiden.« Das sagt die Kinderärztin und Familienberaterin Sara Badawi übers Lügen. Und genau das will ich auch. Wie so viele Eltern lüge ich, weil Konflikte Zeit kosten, Kraft, Nerven, Geduld und Energie. Ressourcen, die ich dienstags nicht habe, die viele Eltern in ganz vielen Situationen nicht haben.
Immer wenn ich lüge, erzähle ich mir selbst, dass es gerade wirklich, ehrlich, absolut gar nicht anders geht. Nicht umsonst spricht man von »Notlügen«, wenn Eltern wie ich im stressigen Familienleben den Joker der kleinen Unwahrheit aus dem Ärmel ziehen. Eine Lüge, die niemandem so recht schadet und auch gar nicht böse gemeint ist – aus dem Gefühl heraus, anders einfach nicht weiterzukommen. Hört sich doch absolut nachvollziehbar an, oder?
Die Familienberaterin Sara Badawi rät von Notlügen ab. Sie sagt, stattdessen sollten Eltern Verantwortung für ihre persönlichen Grenzen übernehmen. Wenn das Kind in den Zoo wolle, könne man natürlich lügen und sagen, der Zoo habe geschlossen. Dann sei die Diskussion vorbei. Aber es sei besser und ehrlicher zu sagen: »Mir ist das gerade zu viel.« Dann protestiere das Kind zwar, sei vielleicht frustriert – aber auch das sei eben Aufgabe der Eltern: das Kind in seinem Frust zu begleiten und aufzufangen.
Es sei aber auch nachvollziehbar, sagt die Expertin, dass Eltern manchmal die Kraft fehle, einen Gefühlsausbruch des Kindes zu ertragen. »Wenn die Not so groß ist, dass ich lügen muss, darf ich mich immer dafür entscheiden.« Es sei aber wichtig, das bewusst zu tun und sich nicht einzureden, man mache es zum Nutzen des Kindes.
Denn wenn Eltern zu oft auf Notlügen zurückgreifen, um sich Frust und Diskussionen zu ersparen und sich das Leben kurzfristig leichter zu machen, müsse man sich fragen, »was das langfristig mit der Beziehung zum Kind macht«, sagt Badawi. Weil schon kleine Kinder über feine Antennen verfügen, merken sie, dass etwas nicht stimmt: »Wenn das sehr oft vorkommt, kann es dazu führen, dass das Kind entweder dem eigenen Gefühl nicht mehr traut oder seinen Eltern.«
Auch der Sozialpsychologie-Professor Philipp Gerlach von der Hochschule Fresenius warnt: Auf lange Sicht könnten Notlügen dazu führen, dass Kinder Lügen irgendwann selbst als probates Mittel sehen, sich das Leben leichter zu machen. Dass Kinder mehr lügen, wenn sie häufig belogen wurden, fanden Studien bereits heraus, aktuell eine Untersuchung aus Singapur. Kinderärztin Sara Badawi wundert das nicht: »Wenn Eltern aus Angst vor Konflikten lügen, überträgt sich das aufs Kind: Es lernt, dass die Wahrheit vielleicht einen zu hohen Preis hat.«
Lügen von Kindern allerdings seien völlig anders einzuordnen als Lügen von Erwachsenen. Säuglinge und Kleinkinder können noch nicht lügen, ab dem Kindergartenalter wiederum ist das Lügen sogar ein Zeichen für eine gute und gesunde Entwicklung. Wenn ein vierjähriges Kind dem Vater erzählt, »die Mama hat aber Schokolade erlaubt, wirklich wahr!«, zeigt es damit, dass es über die »Theory of Mind« verfügt, unter anderem also über die Fähigkeit zu erkennen, dass andere Menschen nicht dasselbe Wissen besitzen wie man selbst.
Und dann gibt es ja noch den schmalen Grat zwischen sozialen Etiketten und Lügen. Etwa zwischen einem höflich geschwindelten »Nein, nein, das ist kein Problem« und einem etwas handfester gelogenen »Das mache ich wirklich unglaublich gerne!«. Auch hierbei, sagt Sara Badawi, lernen Kinder durchs Vorbild: »Wenn sie häufig mitbekommen, wie Eltern aus Höflichkeit lügen, haben sie dabei selbst weniger Hemmungen.« Schon Kinder ab sieben Jahren erzählen Notlügen, damit Mitmenschen sich besser fühlen, zeigte eine Studie. Und lernen vielleicht, dass es das angeblich gute Benehmen manchmal vorschreibt, von der Wahrheit abzuweichen. Diese Notlügen gegenüber Unbekannten oder losen Bekannten sieht Sara Badawi als verzeihlich an: »Man kann Kindern erklären, dass die Nachbarin nicht unbedingt wissen muss, wie schlecht es mir geht, weil der Opa krank ist.« Es sei sogar hilfreich, wenn Kinder lernen zu unterscheiden, wie sich der Umgang je nach Vertrautheit eines Verhältnisses ändert. Damit sie erkennen: »Je näher ein Mensch mir steht, desto eher bin ich ehrlich und öffne mich, um die Beziehung nicht durch Lügen zu belasten.«
Was die Eltern angeht, so sprechen sie ihre häufigsten Notlügen wahrscheinlich mit den besten Absichten aus. Ein Klassiker ist der Satz: »Alles ist gut.« Selbst wenn das Kind sich gerade drei Zähne ausgeschlagen hat, die Ehe kurz vorm Zusammenbruch steht oder man soeben gekündigt wurde. Sich zusammenreißen, obwohl man lieber losheulen würde: Das mag ein Überbleibsel älterer Generationen sein. Gut oder schlecht? »Der Opa ist nur kurz im Krankenhaus«, »die Miezi lebt jetzt auf einer Farm«, »der Piks tut überhaupt nicht weh«: Eltern wollen sich mit solchen Lügen möglicherweise davor bewahren, das Kind begleiten zu müssen, sagt Badawi. Weil sie Zeit sparen wollen, die es kostet zu sagen: »Es kann sein, dass es etwas wehtut, aber ich bin bei dir und tröste dich.« Weil sie davor zurückschrecken, sich mit der Traurigkeit des Kindes auseinanderzusetzen. Doch wenn man das Kind immer nur vor der Wahrheit schütze, grenze man es aus. »Ich nehme dem Kind die Chance, Teil unserer Lebensrealität zu sein, und ich nehme uns als Familie die Chance, gemeinsam traurig zu sein, gemeinsam durch schwierige Phasen zu gehen.«
Manchmal frage ich mich aber auch, ob wir Eltern das mit der Wahrheitstreue heute nicht beinahe übertreiben. Und damit nicht nur uns, sondern auch unseren Kindern zu viel zumuten. »Eltern versuchen heute, ihren Kindern wahnsinnig viel zu erklären«, beobachtet auch die Kinderärztin Badawi. Mein fünfjähriger Sohn stellt momentan viele Fragen wie: Warum sterben Menschen? Wie werden Leute blind? Was ist die schlimmste Krankheit der Welt? Diese Fragen führten bei mir zum Impuls, mit meinen Antworten zu beschönigen, zu besänftigen und dabei viel zu weit auszuholen: »Mach dir keine Sorgen, die meisten Menschen sterben erst, wenn sie ganz alt sind, klar, manchmal gibt es Unfälle oder Krankheiten, die auch Kinder treffen können, und klar, leider gibt es auch sowas wie Kriege oder Attentate und natürlich den Klimawandel, aber dir wird nichts passieren, da musst du keine Angst haben …« Irgendwann fiel mir auf, dass er seine Fragen in völlig neutralem Ton stellte, ohne Angst, ohne den Wunsch, beruhigt zu werden. Und ich antwortete endlich auch einfach kurz und bündig, so neutral und so aufrichtig wie möglich. Die elterliche Unfähigkeit zu simplen Antworten oder Ansagen überfordere Kinder häufig, sagt Sara Badawi: »Sie brauchen einen Erwachsenen, der die Führung übernimmt.« Das bedeute aber eben auch, es als erwachsene Person auszuhalten, wenn das Kind mal sauer, wütend, trotzig oder frustriert sei.
Dienstags, am Tag der tausend Lügen, radeln wir auf dem Weg zur Kita an einer Bäckerei vorbei. Dort kaufen wir manchmal Brot, manchmal nicht. Manchmal bekommt mein Sohn noch ein Teilchen (Stichwort: Kooperation). Natürlich fragt er nun jeden Dienstag: »Mama, können wir Brot kaufen gehen?« Meistens erwidere ich, dass wir kein Brot brauchen und dass ich gar kein Geld dabeihabe. Irgendwann fiel mir ein, dass in meiner Jackentasche immer ein paar lose Münzen herumliegen. Um den desaströsen Dienstag nicht direkt mit einer Lüge zu beginnen, räumte ich die Münzen aus meiner Tasche und klagte Sara Badawi mein Leid, wie kompliziert das mit der Wahrheit doch sei. »Warum lassen Sie die Münzen nicht einfach in der Tasche und sagen Ihrem Sohn, dass Sie kein Brot kaufen wollen?«, fragte sie zurück. »Ach so«, sagte ich. »Ich will heute kein Brot kaufen«, antwortete ich, als mein Sohn am Dienstag wieder zu betteln begann. »Ach so«, sagte er nur und radelte weiter.
Ines Schipperges
https://www.zeit.de/wissen/2023-08/gaertnern-kinder-erziehung-natur
14.08.2024 Zeit Online
GÄRTNERN FÜR KINDER: MIT BEIDEN HÄNDEN IN DIE ERDE
Wer mit Kindern gärtnert, muss sich fragen: Für welche Frucht gießen sie freudig die Erde? Welche Bohne rankt am schnellsten? Das geht auch auf einem Quadratmeter Balkon.
Von Ines Schipperges
Aktualisiert am 14. August 2023, 17:08 Uhr
Auf unserem Balkon wächst Stroh. Zumindest sieht es so aus: Die Kornblumen, die Mohnblumen, die Kräuter- und Gemüsepflanzen – alle sind sie gelb und vertrocknet. Dabei war vor ein paar Tagen noch alles grün, rot, lila, bunt. Dann fuhren wir übers Wochenende weg, vertrauten auf die ein bis zwei vorhergesagten Regenschauer und dachten uns: "Wird schon reichen." Doch es reichte nicht. Der Regen blieb aus, die Sonne knallte auf diesen einen Quadratmeter Hinterhofbalkon, der unser persönliches Gartenidyll darstellt.
Der Balkon bietet Aussicht auf Fahrradständer, Wäscheleinen und Mülltonen und dient hauptsächlich als Stauraum für den Eimer mit schmutzigen Windeln und den halbvollen Bierkasten, der bei einer Party übrig geblieben ist. Dennoch: Unser Quadratmeter Grün war unsere kleine bunte Welt, unser Bienenparadies, unser Selbstversorgerhof und der Stolz unserer Kinder – auch wenn wir bislang außer der guten alten Kresse und ein paar Radieschen noch nichts geerntet hatten. Aber: Was für eine Freude und Aufregung für die Kinder, jeden Morgen nachzuschauen, ob im blauweißen Blumentopf mit der angeschlagenen Kante diese kleine rote Kugel nicht schon eine Fingerspitze weiter aus der Erde lugte.
Nun ist sie geschrumpft und vertrocknet, die kleine rote Kugel. Macht nichts, sagt Claudia Bernleitner. Die Wienerin ist Gartentherapeutin und arbeitet mit Schul- und Kitakindern im Garten als Lern- und Entwicklungsraum. "Zum Gärtnern gehören Erfolge und Misserfolge", sagt sie, "und aus den Misserfolgen lernt man am meisten." Hilfreich sei, mit Kindern über das Geschehene zu sprechen. Auch Vergleiche könnten helfen. Vor einem Jahr starb meine Großmutter, unter anderem, weil sie nicht mehr getrunken hat. Dass Menschen Wasser brauchen, ist seitdem ein großes Thema bei meinen Kindern. Was passiert, wenn Menschen nichts mehr trinken? Warum sterben sie dann? Was passiert mit den Pflanzen auf der Wiese, wenn es nicht regnet und sie kein Wasser bekommen?
Das Gärtnern sei eben eine Möglichkeit, Themen kindgerecht zu erklären, meint Gartentherapeutin Bernleitner – auch was mit unserem Planeten passiert, wenn es zu viel oder zu wenig regnet, wenn die Erde zu heiß wird. "Durch die Beschäftigung mit Natur beschäftigt man sich mit dem gesamten ökologischen Kreislauf. Wachsen, blühen, reifen, vergehen."
Gärtnern ist ein Symbol für das Leben. Und beim Gärtnern zeigen sich Menschen so, wie sie auch im Leben sind. Das erkenne ich bei meinen eigenen Kindern, als wir voll Tatendrang die bunten Töpfe, die Samentütchen und den Sack Erde parat stellen, um den Balkon von seinem morbiden Stroh zu befreien. Der Vierjährige: greift beherzt mit beiden Händen in die Erde und füllt unermüdlich Topf für Topf. Der Siebenjährige: platziert bedächtig einen Samen neben dem anderen, während er darüber philosophiert, ob zuerst die Bienen oder die Wespen unsere Blüten entdecken werden. Das Baby: tut, was Babys eben so tun, krabbelt ungerührt mitten durchs Chaos und steckt sich alles in den Mund, was sie nur finden kann.
Aber welche Pflanzen sind geeignet fürs Gärtnern mit Kindern? Unsere Radieschen empfiehlt auch Claudia Bernleitner. "Die wachsen schnell, genauso wie Sonnenblumen, bei denen man messen kann, wie viel sie täglich in die Höhe schießen." Pflanzen, die Kinder gerne essen, sorgten für mehr Motivation: "Erdbeeren, Himbeeren, Gurken, Tomaten oder auch Sauerampfer, der so lustig schmeckt." Oder: "Bohnen einweichen und eine Bohnen-Rallye machen – wessen Bohne rankt sich am schnellsten hoch?"
Die Auswahl der Pflanzen ein wenig zu steuern, sodass der Frust reduziert wird, dazu rät auch Kinderärztin und Familientherapeutin Sara Badawi. "Ein paar Pflanzen, die schnell und verlässlich Erfolge zeigen, machen Kindern immer Spaß." Unsere gute alte Kresse darf also erneut zum Einsatz kommen und liegt wenige Tage später auf dem Abendbrot. Doch auch die Zuckererbse, die sich gemächlicher gen Licht streckt, wird täglich begutachtet, Vergleiche werden gezogen: Was wächst wohl schneller, die Erbse oder die Zahnspitze, die sich beim Baby gerade nach oben drückt?
"Gärtnern erfordert viel Geduld, viel Fürsorge, viel Sinn für Langsamkeit", sagt Badawi. "Kleinkinder zum Beispiel sind erstmal von Grund auf ungeduldig und lernen Bedürfnisaufschub erst mit der Zeit." Darum sei es für ihre Entwicklung hilfreich, auch mal auf etwas warten zu müssen: "Das ist ein ganz besonderes Erlebnis, weil heute immer alles sofort verfügbar ist", sagt sie, "und es ist wichtig zu wissen, dass es Zeit braucht, wenn etwas gut werden soll." Dass Kinder und Jugendliche beim Gärtnern für ihre Persönlichkeit wichtige Erfahrungen machen, darauf deutet auch eine Studie der Freien Universität Berlin (PDF) von 2022 hin, die den Effekt von Gärten und Naturerlebnisräumen an Schulen und Kindergärten untersuchte. Und eine mexikanische Studie legte 2020 nahe, dass eine Verbindung zur Natur Kinder glücklicher macht und nachhaltiger sowie weniger eigennützig handeln lässt.
Gärtnern gibt den Freiraum, etwas selbst zu gestalten und einfach mal zu schauen, was passiert. Doch auf einem Quadratmeter Balkon ist der Freiraum stark begrenzt, und das Gärtnern findet notgedrungen auch auf dem Küchenboden statt. Der bei unserer Aussaat-Aktion bald derart dicht mit Erde bedeckt ist, dass ich versucht bin, die Samen an Ort und Stelle auszusäen. Dann reißt mir das Baby die Samentüte aus der Hand und verstreut den Inhalt in der Küche. Wir sammeln die Samen wieder ein, vielleicht geraten auch ein paar alte Brotkrümel oder Staubflocken dazwischen, egal, wir stopfen alles in die Erde. Abends, beim Babyfingernagelschneiden, betrachte ich die schwarzen Ränder, die sich unter den winzigen Fingernägeln festgesetzt und sich tapfer dem Badewasser widersetzt haben. Gärtnern macht schmutzig – aber eben auch glücklich.
Für Kinder, die wenig Naturerlebnisse haben, ist die Schule als Lernort besonders wichtig. "Gemeinsam Gemüse anbauen, erfahren, wie Lebenswelten entstehen – dieses Wissen wird in Schulen viel zu wenig vermittelt", sagt Claudia Bernleitner. Eine Karotte aus der Erde zu ziehen und festzustellen, dass man dafür Kraft braucht, sei ein ganz anderes Erlebnis, als die in Plastik verpackte Karotte im Supermarkt in den Einkaufswagen zu legen. Die Psychotherapeutin Sara Badawi stimmt zu: "Das Wissen darüber, wie aufwendig es ist, Gemüse oder Obst zu ziehen, sorgt auch bei Kindern für mehr Wertschätzung für ihre Umwelt. Und wie empfindlich das alles ist, wie schnell bei einem Sturm oder Hagelschauer alles kaputtgehen kann – das verschafft ihnen eine Ehrfurcht vor der Natur." Laut einer aktuellen US-Studie können Schulgärten außerdem das Ernährungsverhalten verändern und dadurch Cholesterin- und Blutzuckerwerte von Kindern verbessern.
Während und der Vierjährige jeden Regenwurm freudig mit Namen begrüßt, fragt der Siebenjährige schon skeptischer nach: "Ist das eine Biene oder eine Wespe? Was passiert, wenn die mich sticht?" Laut Sara Badawi ist das "eine intuitive Skepsis, um zu erspüren, ob Lebewesen mir schaden können". Hier lernen Kinder von Eltern – ob sie wild um sich schlagen oder ruhig bleiben.
Auf unserem Balkon wachsen inzwischen wieder Radieschen, Kresse, Zuckererbsen. Am Wochenende fahren wir für ein paar Tage auf den Bauernhof. Während die Kinder dort die Ökologie in allen Facetten kennenlernen, ist für unser kleines Stück Natur dank eines simplen Bewässerungssystems gesorgt: einfach eine PET-Flasche mit Wasser füllen und mit durchlöchertem Deckel umgekehrt tief in die schon gut bewässerte Erde stecken. So müsste alles gut gehen.